Über die Malerei von Christoph M. Gais
»Das ist Italien, das ich verließ. Noch stäuben die Wege,
Noch ist der Fremde geprellt, stell' er sich, wie er auch will.
Deutsche Redlichkeit suchst du in allen Winkeln vergebens;
Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und Zucht;
Jeder sorgt nur für sich, misstrauet dem andern, ist eitel,
Und die Meister des Staats sorgen nur wieder für sich.«
(Aus: Johann Wolfgang von Goethe, »Epigramme; Das ist Italien« 1766 – 1832)
Vielleicht müssen wir mit leichter Enttäuschung zugeben, dass Goethe wohl nicht der Letzte war, der den Staub durchschaute, der sich bis heute nicht zu legen scheint, und dennoch das Licht Italiens schätzte, das jedem – ungelogen – ein zweites Leben schenken kann, was auch der große deutsche Dichter bei seiner Ankunft in Rom einräumte. Das Licht, das nicht alle darzustellen in der Lage sind, ist in den Tiefen der Malerei von Christoph M. Gais eingefangen. Falls es sich nicht um einen raffinierten Zauber handelt, den wir heute noch nicht begreifen können, ist diese Kunst nur im Zusammenhang mit dem Land zu verstehen, das sich der Künstler als Wahlheimat ausgesucht hat. Nur in diesem Land, nirgends sonst, verändert sich die Farbe der Steine derart im Laufe des Tages, erweckt alte Gemäuer, Gebäude und die Erdböden antiker Städtchen zum Leben.
Sich annähern, den Blickwinkel wechseln, beobachten, die Einzelheiten und das große Ganze der enormen Leinwände des Künstlers erspüren, die sich im Atelier-Haus ausbreiten – versunken in Stille und Grün – lässt die Neugier des Schöpfers erahnen. Das Wort Neugier (curiosità) stammt von »cura«, im Sinne von Aufmerksamkeit, und bezeichnet einen Menschen, der von dem rastlosen Wunsch getrieben ist, Unbekanntes in Erfahrung zu bringen; also nichts anderes als dieses Licht, das schon in der Vergangenheit so viele Italienreisende bewegt hat. Es ist wohl nicht notwendig zu wiederholen, dass Licht als solches für unser Auge unsichtbar ist. Licht muss sich spiegeln und Farben von Oberflächen zum Leuchten bringen, um von uns wahrgenommen zu werden. Das veranschaulicht einen wesentlichen Aspekt von Gais’ Malerei. Er kennt das Geheimnis der allmählichen Einwirkung von Zeit auf Stein-, Holz- und Stoffoberflächen und erprobt mit immer neuen Experimenten, Formen und Farben spielerisch zu varriieren, um diese Tiefe zu erfassen. Die Überlagerung unterschiedlicher Schichten zwingt uns, nach mehr als dem unmittelbar Greifbaren zu suchen, da sich einiges erst durch ausdauernde Kontemplation erschließt.
Geneigte Leser werden mir einen kleinen Exkurs verzeihen, mit dem ich an die Bedeutung eines Wortes erinnern möchte, das nicht grundlos in diesen Zeilen benutzt wird. Kontemplation stammt von »templum«, dem Himmelsabschnitt, der Auguren zur Beobachtung und Deutung des Vogelfluges diente. Diese Betrachtungsweise scheint auch der Ursprung von Gais’ Werk zu sein: er interpretiert Oberflächen, um sie dann auf Leinwand zu übertragen. Keines der Werke ist in sich geschlossen, sondern erscheint immer als Fragment des unendlichen, offenen Raumes. Auch aus diesem Grund sollten Gais’ Bilder niemals in einen trostlosen Bilderrahmen gezwängt werden.
Es ist nicht zu übersehen, dass wir es mit einer erlesenen und differenzierten Malerei zu tun haben, der eine Ernsthaftigkeit innewohnt, die nur der Lauf der Zeit den Dingen verleihen kann, ganz besonders durch ihr Verhältnis zum italienischen Licht. Mit demselben faszinierten Staunen – so scheint es uns – erfuhren andere, vor Gais, diese schlichte Kontemplation wie sie bereits Goethe wahrgenommen hat »nicht, um mich selbst zu betrügen, sondern um mich an den Gegenständen kennen zu lernen«. (Aus: Johann Wolfgang von Goethe, »Italienische Reise; Verona; Gemälde, Uhr«, 17.09.1829)
Luca Pesante